Sankt Hubertus 3

Teil 3 und Schluss

> zum Hirschwunder

Wenn man heute von Hubertus und seiner Legende spricht, denkt man gleichzeitig an den Jäger, dem der kreuztragende Hirsch erschien. Allerdings ist das Hirschmotiv eines der jüngsten in der Hubertuslegende.

In der am Ende des 11. Jahrhunderts entstandenen zweiten Mirakelsammlung ist im 15. Wunder, dessen Ursprung vermutlich im 9. oder 10. Jahrhundert liegt, erstmals die Rede davon, dass Hubertus einstmals Jäger war: "Denn es war von alters her ... üblich, unter den Vornehmen der ganzen Ardennen die ganzen Jahreszeiten hindurch die Erstlinge und den Zehnten jedes Wildes jährlich dem hl. Hubertus abzulassen, weil der Heilige dieser Übung oblegen hatte, bevor er das weltliche Gewand gewechselt hatte." Hier ist noch keine Rede vom Kruzifix tragenden Hirsch.

Schon im 10. Jahrhundert finden sich Spuren einer Hubertusverehrung in einem Kalendar der Diözese Trier und im 14. Jahrhundert gibt es insbesondere in der alten kölnischen Kirchenprovinz Zeichen einer Verehrung des hl. Hubertus. Bereits 1341 besaß der Dom zu Köln einen Hubertusaltar, den der Markgraf Wilhelm von Jülich gestiftet hatte.Miniatur mit dem Hl. Hubertus

Wie es so oft bei Heiligenkulten des frühen Mittelalters geschah, das nur über eine dürftige Informationsstruktur und eine ebenso geringe Mobilität verfügte, blieb der Kult des hl. Hubertus auf die Region beschränkt.

Um das Jahr 1440 versieht Stephan Lochner auf dem rechten Flügel des "Weltgerichtsaltars" den Bischof Hubertus mit dem Hirsch als Attribut, der in Miniaturform auf dem in der linken Hand gehaltenen Buch liegt.

Das Stundenbuch der Katharina von Kleve zeigt um die gleiche Zeit die Begegnung des jagenden Hubertus mit dem kreuztragenden Hirsch.

Abb.: Die Bekehrung des hl. Hubertus, Miniatur aus dem Stundenbuch der Katharina von Kleve, Utrecht um 1440, Pierpont Morgan Library, New York.

Zwei Stundenbücher, die in den Jahren 1444 und 1451 von Kölner Schulen gemalt wurden, zeigen ähnliche Darstellungsformen.

Mit der Übertragung des Kreuzhirschmotivs von Eustachius auf Hubertus um 1400 war ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Akzeptanz des Hubertus als Jagdheiligem getan. Hubertus hatte ein jagdspezifisches Attribut erhalten. Unter diesen Voraussetzungen war eine raschere und überregionale Verbreitung des Hubertus-Kultes und seiner Patronate gegeben.

Unterstützung fand die zunehmende Akzeptanz sicherlich durch das französische Königshaus, das Hubertus, nach Fehlinterpretation seiner Herkunftsgeschichte, in die Reihe der eigenen Vorfahren einbaute. Vermutlich war König Karl VIII. von Frankreich (1483 - 1498) derjenige, der den heiligen Hubertus zum Schutzpatron der Jagd erkor.

Am Ausgang des Mittelalters erlebt die Verehrung des hl. Hubertus und besonders seine Verbindung mit dem Hirschmotiv vor allem am Niederrhein und in der Eifel und später auch in anderen Regionen einen Aufschwung.

Seit Mitte des 15. Jahrhunderts ist der fromme Besuch der Abtei fest eingeführt, und Pilger von Oberdeutschland bis Utrecht, von Burgund bis nach Sachsen, sind nachzuweisen.Wappen mit Kleinod

Weiterhin verstärkenden Einfluss hatte sicherlich die Stiftung eines dem Hubertus geweihten ritterlichen Ordens, den Herzog Gerhard II. von Jülich-Berg am Hubertustag des Jahres 1444 einrichtete. Mit der Stiftung des Ordens und der Darstellung der Bekehrungsvision auf dem Kleinod der Ordenskette überträgt Herzog Gerhard II. erstmals textlich und bildlich nachweisbar die Hirschvision auf den heiligen Hubertus.

Abb.: Wappen des Herzogs von Jülich-Berg (Ausschnitt). Um das Wappen rankt sich die Kette mit Kleinod des Hubertusordens, Wappenbuch des Conrad Grünenberg um 1483

Hier sei angemerkt, dass in dem Holzschnittwerk "Die Heiligen aus der Sipp-, Mag- und Schwägerschaft des Kaisers Maximilian I." (1493-1519) auch der heilige Hubertus in die Reihe der Heiligen aufgenommen wurde, die der Kaiser als seine Vorfahren ansah. Wahrscheinlich war die Verehrung, die der Kaiser und das Haus Habsburg dem hl. Hubertus zollte, durch seine freundschaftlichen Beziehungen zu Herzog Wilhelm III. zu Jülich-Berg, auch im Reich verstärkt worden. Aus Literatur und bildender Kunst ist allerdings deutlich zu entnehmen, dass in vielen Teilen Deutschlands noch weit nach 1444 die Darstellung der Bekehrungsszene in Verbindung mit Hubertus nicht üblich war.

In der Vita IV und in der Vita V, die beide im 15. Jahrhundert entstanden, wird der Bericht von der Bekehrung erstmals in die Geschichte des Heiligen eingefügt. Der Autor gibt an, eine mögliche Überlieferung zu berichten ("fertur..."). Das eigentliche Motiv stammt allerdings aus der Legende des hl. Eustachius, einem Heiligen, der seit dem 6. Jahrhundert, spätestens aber seit dem Anfang des 8. Jahrhunderts in der römischen Kirche verehrt wird.

Vorlage für die Übertragung des Motivs auf den hl. Hubertus dürfte die Legendensammlung "Legenda aurea" oder "Legenda sanctorum" des Dominikaners Jacobus de Voragine (ca. 1230-1298, Erzbischof von Genua) sein. Zwischen 1263 und 1273 hatte er alles zusammengetragen, was er an Heiligenlegenden seiner Zeit aufspüren konnte. In der Sammlung des Jacobus de Voragine wird der heilige Hubertus weder mit Namen noch mit einem Wunder erwähnt. Allerdings berichtet eine Legende, hier in gekürzter Form wiedergegeben, von der Bekehrungsvision eines Heiligen mit Namen Eustachius.

Jacobus erzählt: "Eustachius hieß zuvor Placidus und war ein Kriegsoberster des Kaisers Trajan. Doch übte er mit Fleiß die Werke der Barmherzigkeit, ob er gleich dem Glauben der Abgötter war ergeben... Da er aber so fleißig war in den Werken der Barmherzigkeit, so verdiente er, dass er zu dem Weg der Wahrheit würde erleuchtet. Es geschah eines Tages, dass er zur Jagd fuhr; da kam ihm für eine Schar Hirsche. Unter denen war einer sonderlich groß und schön. Der sprang von den anderen und floh in den wildesten Wald... Da er ihn mit aller Macht verfolgte, sprang der Hirsch zujüngst auf einen steilen Felsen; da ging Placidus nahe hinzu und betrachtete begierlich in seinem Geist, wie er den Hirsch fangen möchte. Da er aber den Hirsch also mit Fleiß betrachtete, da ersah er zwischen seinen Hörnern die Gestalt des heiligen Kreuzes, das gab einen Glanz lichter denn die Sonne, daran hing das Bild des Herrn. Der hub durch des Hirsches Mund ... zu ihm zu reden an und sprach: ,0 Placide, warum verfolgst du mich? Ich bin dir zu Lieb in dieses Tieres Gestalt erschienen, denn ich bin Christus, den du unwissend ehrest. Deine Almosen sind zu mir emporgestiegen, darum bin ich zu dir gekommen, dass ich dich durch diesen Hirschen fahe, den du selber zu jagen wähntest.'... Als Placidus das vernahm, fiel er in großem Schrecken von seinem Ross zur Erde. Über eine Stunde kam er wieder zu sich selber und hub sich auf von der Erde und sprach: ,Erkläre mir, was du da sagst, so will ich an dich glauben.' Und Christus sprach: ,Placide, ich bin Christus, der Himmel und Erde geschaffen hat.'... Als Placidus das vernahm, fiel er zum anderen Male zur Erde nieder und sprach: ,Herr, ich glaube, dass du es bist, der alles erschaffen hat und die Irrenden bekehret.` Sprach zu ihm der Herr: ,Glaubest du, so gehe zu dem Bischof der Stadt und lasse dich von ihm taufen ..." So wurde aus dem Heiden Placidius der christliche Bekenner Eustachius.Legende des Hl. Eustachius

Abb.: Legenden des hl. Eustachius, Chorbuch der Klosters Zwiefalten aus dem 12. Jahrhundert (um 1162), Landesbibliothek Stuttgart.

Ein ursprünglicher historischer Bezug des Eustachius ist nirgendwo nachzuweisen. Geschichtlich ist nur, dass ein Eustachius in Rom unter Papst Gregor dem Großen (590-606) als Märtyrer und seit dem 12. Jahrhundert in Frankreich und Deutschland als einer der 14 Nothelfer verehrt wurde.

Das Motiv der Legende ist keine Schöpfung aus frühchristlicher Zeit. Es kam als Wandermotiv aus dem indisch-buddhistischen Bereich über Mesopotamien, Griechenland und Italien nach Westeuropa. Aus dem Buddhismus ist eine Erzählung bekannt, derzufolge im 3. Jahrhundert v. Chr. ein indischer König auf der Jagd einen Hirsch angetroffen haben soll. Der Hirsch trug zwischen silbernen Geweihstangen goldene Flämmchen, die wie Edelsteine flimmerten. Der König stellte den Hirsch nach wilder Hatz und wurde so angesprochen: "Lass ab vom Bösen, oh König! Versenke dich und bekenne dich zu Buddha!“

Außer den orientalischen Fassungen existieren zwei griechische aus der Zeit vor dem 10. Jahrhundert n. Chr. und davon abgeleitet je eine größere und eine kleinere lateinische Mischform des 9. und 10. Jahrhundert n. Chr. Sie wurden in zahllosen Texten verbreitet, die wiederum Vorlage für Erzählungen in Volkssprachen geworden sind. Auch das Mittelalter hat sich des Motivs sehr gern bedient und es in Legenden und Sagen verwoben. Zum Beispiel haben Meinulph von Paderborn (gest. 857) seit 1039, Hubert von Lüttich (gest. 727) seit dem 15. Jahrhundert und Felix von Valois (gest. 1212) seit 1659 dieses Motiv des Kreuz tragenden Hirsches mit St. Eustachius gemein.

Die Bejagung des Wildes durch den Jäger, wie auch bei anderen Völkern, wird in der Bibel zum Bild und Gleichnis für die Verfolgung der Gerechten und Armen durch gewalttätige Menschen: "Er lauert darauf, den Armen zu fangen; er fängt den Armen und zieht ihn in sein Netz" (Psalm 10, 9). In der mittelalterlichen Dichtung und bildenden Kunst spielt die Tiersymbolik unter dem Einfluss des Physiologus, das ist eine seit altchristlicher Zeit verbreitete Zusammenstellung christlicher Tiersymbolik, eine ganz bedeutende Rolle. Nicht nur die Symbole für Christus wie Löwe, Adler, Einhorn und Pelikan waren den Bauhüttenmeistern und Malern, dem Klerus, dem Adel und dem Volk in gleicher Weise vertraut. Auch Hirsch, Eber, Widder, Hase und Hermelin stehen als seltener gebrauchte Symbole für Christus und seine Anhänger. In Darstellungen der Jagd auf sie soll der verzweifelte Versuch des Heidentums symbolisiert werden, die neue Lehre doch noch zu vernichten.

In der Eustachius- und der Hubertus-Legende wird nicht der wehrlose Hase als Symbol gewählt, sondern ein edles Tier, das gleichzeitig das begehrteste Wild des Jägers ist. In der Heiligenlegende bedeutet der Hirsch Christus und trägt als Führer zum Heil das Symbol der Erlösung. Nicht der einzelne Gläubige steht hier in der Verfolgung, sondern Christus selber. Die Verfolgung Christi und des Christentums verkehrt sich in ihr Gegenteil, in das alte Motiv der Bekehrung des Verfolgers zum christlichen Leben.

Es ist nicht ausgeschlossen, ja sogar sehr naheliegend, anzunehmen, dass die Legende von den Vertretern des Klosters und ihren Gönnern absichtlich auf Hubertus übertragen wurde. So war eine gute Erklärung für die angebliche Liebe des Heiligen zur Jagd und seine Verehrung durch die Jäger gegeben. Unterstützung fand die zunehmende Akzeptanz durch das französische Königshaus, das Hubertus, nach Fehlinterpretation seiner Herkunftsgeschichte, in die Reihe seiner Vorfahren aufnahm.Zu den abteispezifischen Gründen der Übernahme eines geeigneten Legendenmotivs aus dem Leben des hl. Eustachius in das des hl. Hubertus kamen noch äußere. Missverständnisse und Verlesungen führen oft zu legendarischen Entstellungen und schaffen auf solche Art bestimmte Heiligentypen. Wie die Legende Heiligenattribute schafft, so erzeugen diese ihrerseits selbst wieder Legendenmotive.

Bei der Übernahme des Hirschmotivs in die Legende des Ardennenheiligen mag eine Verwechslung des Datums mitgespielt haben. Die alten Kalendarien von Stavelot und Tournay, die Martyrologien von Usard und Adon und die ältesten französischen Breviere geben den 1., 2., 3. oder 4. November als den Festtag des hl. Eustachius an, obwohl der eigentliche Festtag dieses Heiligen der 20. September ist. Es kann hier eine einfache Verwechslung vorliegen, oder das nahe Beieinanderliegen der Tage bot einem Schreiber Anlass zur Übertragung.

Die Darstellung der Hirschvision wird immer häufiger von Künstlern zum Thema ihrer Arbeiten gemacht. Bedauerlicherweise vermischen sich die für eine zweifelsfreie Zuordnung notwendigen typischen "Attribute" der beiden Heiligen, so dass Verwechslungen möglich werden. So wird zum Beispiel Eustachius in reiner Jagdkleidung oder mit der typischen "Hubertushaube" und Hubertus in ritterlichem Habit dargestellt. Kleidung, Ausrüstung und Bildhintergrund werden dem jeweiligen Zeitgeschmack angepasst oder unkritisch aus anderen Epochen entliehen.

Wie auch bei der Verbindung des heiligen Hubertus mit den Attributen Stola und Schlüssel ist seine Bekehrung durch einen Hirsch, der das Bild des gekreuzigten Heilands zwischen den seinen Geweihstangen trug, im Grunde auch nichts anderes als eine ätiologische Legende, die allerdings in diesem Falle von einem Heiligen auf einen anderen Heiligen übertragen wurde.

Die Vita quinta bringt nichts wesentlich Neues.Miniatur mit Hirschvision

Auch die Vita quinta sancti Huberti geht aus der Lambertus-Biographie des Nikolaus hervor. Sie entstand ebenfalls im 15. Jahrhundert und hat nur noch weitläufige Verbindung mit ihrem Vorbild. Das Hirschwunder ist breit ausgemalt. Nach der Bekehrung durch den kreuztragenden Hirsch verteilt Hubertus seine Habe, geht in die Einsamkeit und wird Eremit, um ein ernstes Leben zu führen. Dabei ist er den Anfechtungen des Teufels ausgesetzt.

Die Vita sexta erscheint in französischer Sprache.

Am Ende des 14. Jahrhunderts verfasst Jean d`Outremeuse eine Geschichte des hl. Hubertus in französischer Sprache. Sie wird von Adolphe Happart, einem Mönch des Klosters Saint-Hubert, zu Beginn des 16. Jahrhunderts ins Lateinische übersetzt und ist in dieser Form als Vita sexta sancti Huberti bekannt.

Abb.: Vision des hl. Hubertus, 1459, Miniatur aus der Handschrift des Hubert de Prévost

Die Vita septima malt die Familiengeschichte des Hubertus breit aus.

1526 schließlich schuf Adolphe Happart noch eine Umgestaltung des Textes der Vita VI, die als Vita septima bezeichnet wird.

In Vita VI und VII wird die Familiengeschichte des hl. Hubertus breit ausgemalt. Jetzt ist in der Legende nicht mehr von Ode die Rede, sondern von Floribane, seiner Frau, und von Floribert, seinem Sohn. Eine rührende Ehegeschichte wird vorgelegt: Hubertus verlässt seine geliebte Gattin und lässt sich auch durch ihr inständiges Flehen nicht davon abhalten, dem Ruf Gottes zu folgen. Floribane stirbt früh. Vor ihrem Tod schenkt sie noch einem Sohn, Floribert, das Leben. Diesen Knaben erzieht Hubertus zu einem würdigen Nachfolger. Damit ist die Frage berührt, ob Hubertus verheiratet war. Der erste Biograph spricht bereits von einem "egregius filius Floribertus" des Heiligen. Dieser Floribert ist also wohl derselbe, der Nachfolger des hl. Hubertus auf dem Bischofsstuhl wurde. Dechant Anselmus äußert sich so in seiner Chronik um 1052-1056.

Wenn Hubertus allerdings verheiratet war, so wäre das zu seiner Zeit nichts Außergewöhnliches gewesen, wie zum Beispiel die Vita des hl. Arnulf zeigt. Tatsächlich wird Hubertus von den späteren Schreibern immer als verheiratet angesehen. In der Vita VI bei Jean d`Outremeuse taucht diese Ehefrau, 700 Jahre, nachdem sie gelebt haben soll, in der Geschichte des hl. Hubertus zum ersten Male mit dem Namen Floribane auf. Schon dieser Name lässt hier auf eine legendäre Gestalt schließen. Sicherlich wurde der Name analog zu ihrem angeblichen Sohne Floribertus gebildet.

Die Hubertuslegende bildet sich in sieben Strängen.

Wie die Textgeschichte verdeutlicht, bildet sich die Legende im Laufe von Jahrhunderten über sieben Stränge hervor. Inwiefern die Viten mündliche Geschichten verarbeiten, lässt sich nicht ermitteln. Es ist indessen davon auszugehen, dass alle weiteren Erzählungen daran anknüpfen.

Die Legendenfassung des 15. Jahrhunderts fügt alle Bestandteile zusammen, die in Zukunft das Bild des Heiligen bestimmen. Der Lebenslauf wird als Ursache-Wirkung-Folge erzählt und ist im Gang der Handlung in sich schlüssig und gradlinig. Das Motiv ist ausgeprägt, das den Erwartungen der Gläubigen am Ausgang des Mittelalters entspricht. Der Ritter und Jäger kommt der adeligen Welt entgegen. Die Bekehrung, die Aufgabe des hohen weltlichen Standes, der Verzicht auf Ehe und Familie, Bescheidenheit und Demut und der Aufstieg zu höchsten geistlichen Ehren zeigen auch den einfachen Leuten, dass Gottes Vorsehung und Wille jeden treffen kann.

An der dargelegten Biologie der Hubertuslegende zeigt sich, dass die Legende eines Heiligen nicht eine ein für alle Mal abgeschlossene Darstellung ist. Sie geht mit den Menschen durch die Jahrhunderte. Sie spricht das Denken und Fühlen der Zeit aus.

Eine große Persönlichkeit, auch eine Heiligengestalt, gehört der Geschichte hauptsächlich in dem Sinne an, was sie ihr bedeutet. Tausende sonst unbekannter Namen in den christlichen Legenden sind nicht um ihrer selbst Willen festgehalten, sondern als Träger bestimmter Vorstellungen. An den Namen knüpfen sich Erwartungen.

Das Volk sieht in den Trägern dieser Namen sein Ideal verkörpert, die Vereinigung des Menschen mit Gott in der höchsten erreichbaren Form. Es denkt sich den Legendenträger aber auch als Nutznießer der Gottesfreundschaft mit freiem Verfügungsrecht über die göttliche Macht zu Gunsten seiner Freunde. Diesen Helfer will das Volk, den "Heilbringer", wie die moderne vergleichende Religionsgeschichte ihn nennt. Das ist die treibende Kraft der Motivwanderung. Aus diesen Gründen kristallisierte sich die Episode vom kreuztragenden Hirsch um die Gestalt des Ardennenheiligen, und nur so konnten auch die ätiologischen Legenden von Stola und Schlüssel entstehen.

Hubertus wird ein europäischer Heiliger und übernimmt von Diana das Jagdpatronat.

Bis in das 20. Jahrhundert hinein ist der hl. Hubertus im Raume Südwestdeutschlands einer der volkstümlichsten Heiligen. Aus vielen Orten ziehen Wallfahrten zu seinem Grab in den Ardennen. Zahlreiche Kirchen und Kapellen im rheinischen Raum, vor allem in der Eifel, sind ihm geweiht. Die Feier des Hubertustages am 3. November mit einer Hubertusmesse durch die Jäger ist ein Bestandteil der Jägerbräuche, die nach wie vor gepflegt werden.

Die Beschränkung frühmittelalterlicher Kunst und Literatur auf Themen christlich-religiösen Inhalts macht den Nachweis schwierig, inwieweit Diana in Deutschland als antikes Symbol der Jagd gegenwärtig war. Erst in der Renaissance, in Italien um 1420 beginnend, erwacht das Interesse für Sprache, Philosophie und Literatur der Antike; das ebnet einer Wiedergeburt antiker Mythen und ihrer Darstellung den Weg. In Nürnberg erscheint 1502 der Kupferstich "Apollo als Schütze und Diana mit Hirsch" von Jacopo de Barbari.Hubertus in Albrecht Dürers Kupferstich

Seit dem 16. Jahrhundert erscheinen immer häufiger Druckwerke jagdlichen Inhalts. Während sich Bezüge zu Diana immer wieder finden lassen, vermisst man den Namen des Hubertus. Eustachius wurde besonders im romanischen Gebiet und in Süddeutschland als Jagdheiliger verehrt. Die Darstellung des hl. Eustachius durch Albrecht Dürer um 1500 - 1503 macht dies deutlich. In den romanischen Gegenden Galliens teilen sich Eustachius und Martin von Tours das Jagdpatronat.

Abb.: Vision des hl. Eustachius von Albrecht Dürer, Kupferstich um 1500 – 1503, Kupferstichkabinett Berlin.

Erst gegen Ausgang des Mittelalters setzte sich auch für Hubertus eine weiterverbreitete Verehrung als Jagdheiliger durch, aber zunächst noch mit Eustachius zusammen. Noch um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurden Hubertus und Eustachius in Frankreich am selben Tage als Jagdpatrone gefeiert, wie aus einer Broschüre, die 1648 in Paris erschien, hervorgeht.

Fürsten Deutschlands führten um die Wende des 16. Jahrhunderts die Jagd hinter der Meute nach französischem Vorbild ein und verpflichteten dazu Jagdbedienstete aus Frankreich. Damit war eine wesentliche Grundlage für die sich immer mehr verstärkende Hubertusverehrung in den Kreisen der deutschen Parforcejäger geschaffen. Die französischen Könige hatten ja Hubertus, aufgrund einer historisch falschen Legendenfassung, in ihre Ahnenreihe aufgenommen.

Nach der Französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen (1805-1813) fehlte es an Geld, um den Jagdluxus der vergangenen Jahrhunderte weiterführen zu können. Die Berufsjäger mit all ihren Spezialisierungen verloren immer mehr ihre Existenzgrundlage und wechselten meist in den Forstberuf über.

Damals hatte St. Hubertus kaum eine Bedeutung als Vorbild für die Jägerschaft. Die Jäger feierten noch "Dianenfeste" im Jagdschloss Grunewald des preußischen Königs. "Priester Dianens" oder auch "Nimrodsjünger" nannten sich die Jagdausübenden in der forst- und jagdlichen Fachliteratur jener Zeit.

Wenn man die Jagdzeitschriften des 19. Jahrhunderts durchsieht, ist man überrascht festzustellen, wie lange sich Diana gegenüber Hubertus behaupten konnte. Wenn man die Novemberausgabe „Der Deutsche Jäger“ des Jahrgangs 1884/85 aufschlägt, findet man den heiligen Hubertus noch nicht erwähnt. Erst 1886/87 wird in einer Textzeile "Huberti Gunst und Waidmannsheil" erbeten. Jahrgang 1895 gedachte für jene Zeit ausgesprochen „aufwändig“ des Hubertustages; er brachte ein Hubertusbild, allerdings ohne weiter darauf einzugehen.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verlief ein Prozess gesellschaftlichen Wandels. Die Industrielle Revolution und die Reichsgründung begünstigten einen zunächst rasanten wirtschaftlichen Aufschwung mit der Etablierung besitzenden Bürgertums. Dem Selbstbewusstsein der Aufgestiegenen der ersten Generation fehlte die gewachsene Grundlage. Eine Suche nach Leitbildern und eine Flucht in patriarchalische Ideologien waren die Folge. Der Bürger versuchte, den Reiter-, Jagd- und Herren-Stil des Adels nachzuahmen und ins Städtische zu übertragen.

In einer von Männern beherrschten Gesellschaft wird das weibliche Prinzip der Weichheit unterdrückt zugunsten des männlichen Prinzips der Macht. In dieser Atmosphäre des autoritären Gehabes ist weder Raum für Diana als Frau noch als Patronin des frisch-fröhlichen Waidwerks. Zum Ende der "wilhelminischen Zeit" wird Hubertus allgemein als jagdliche Leitfigur gesehen.

Trotz seiner atheistischen Grundlagen akzeptiert und kultiviert der Nationalsozialismus das bestehende Hubertusbild, lässt es sich doch, mit geringen Abstrichen, übertragen auf das Urbild des jagenden deutschen Mannes. In Hubertusfeiern wird "uraltes ehrwürdiges Brauchtum aus deutscher Vergangenheit" beschworen und der ehemals christliche Heilige auf das Klischee des "waidgerechten Jägers" reduziert.

Nachwort

Noch heute bereitet es Schwierigkeiten, diese einengende Interpretation wieder zurückzuführen auf den ursprünglichen Kern der "Hirschvision" und sie im alten und gleichzeitig neuen Licht christlicher Botschaft zu sehen, der Bekehrung zu Gott und zur Einhaltung seiner Gebote. Im Rahmen der Gefährdung unserer Umwelt stehen insbesondere wir Jäger in der Verantwortung. Uns Jägern ist als Christen und im Rahmen staatlicher Gesetzgebung die freilebende Tier- und Pflanzenwelt anvertraut. Im Hinblick auf die Bedrohung unserer Umwelt sollten gerade wir Jäger das Gewissen der Gesellschaft sein.

Hubertustage und Hubertusfeiern sollten jedem einzelnen von uns Anstoß sein, sich und sein Verhalten auf den Prüfstand zu stellen und zur Erneuerung und Stärkung christlicher und damit naturverantwortlicher Grundhaltung werden.

Abriss der Legendenentwicklung zum heiligen Hubertus

- Vita prima:

um 743, anonymer Mönch;

Missionstätigkeit, Translation, alltägliche Wunderberichte, Sohn Floribertus;

Teil aus Vita des Arnulf von Metz aus dem 7. Jahrhundert.

- Vita secunda:

825, Bischof Jonas von Orleans;

Translation,

Überarbeitung der vita prima.

- Chronik des Anselmus:

um 1052 1256 (zwischen vita secunda und vita tertia), Anselmus, Domherr und Dechant an St. Lambert in Lüttich;

schöpft aus vita secunda.

- 1. Mirakelsammlung:

um 850, Mönch des Klosters;

verschiedene Heilungen, keine im Zusammenhang mit Tollwut- oder Jagdpatronat.

- 2. Mirakelsammlung:

Ende des 11. Jahrhunderts, Lambert der Jüngere, Mönch des Klosters;

29 Wunder (19 aus dem 9. bis 10. Jahrhundert, 10 aus dem 11. Jahrhundert), Tollwutheilungen in beiden Altersstufen, im 15. Bericht Jagdpatronat durch Abgabe von Jagdbeute an das Kloster.

- Cantatorium:

um 1106 abgeschlossen, Mönch der 2. Mirakelsammlung;

Chronik der Abtei Saint-Hubert, Große des Landes verehren St. Hubertus, Abgabe von Jagdbeute an das Kloster.

- Vita tertia:

2. Hälfte des 12. Jahrhunderts;

Auszüge aus der Vita des hl. Lambertus des Lütticher Domherrn Nikolaus aus der Zeit um 1143-47 (Vita tertia, quarta und quinta wurden später daraus gezogen);

Lebensgeschichte wird mit Wunderberichten und heiltätigen Gegenständen angereichert, schließt Lücke um Vaterland und Herkunft.

- Vita quarta:

im 15. Jahrhundert;

stärkste Bereicherung der Legende, Stola, Schlüssel, Bekehrung durch kreuztragenden Hirsch erstmals erwähnt.

- Vita quinta:

im 15. Jahrhundert;

hat nur noch weitläufige Verbindung zu ihrem Vorbild, Hirschwunder breit ausgemalt;

- Vita sexta:

Ende des 14. Jahrhunderts verfasst Jean d`Outremeuse eine Geschichte des hl. Hubertus in französischer Sprache. Adolphe Happart, ein Mönch des Klosters, übersetzt sie zu Beginn des 16. Jahrhunderts ins Lateinische.

- Vita septima:

1526 schafft Adolphe Happart eine Umgestaltung des Textes der Vita sexta;

in beiden Fassungen wird die Familiengeschichte des hl. Hubertus breit ausgemalt.

Literatur

Verwendete Literatur oder Quellenhinweise zu Abschnitten des Textes bitte beim Autor erfragen oder Literaturliste anfordern.

Klick nach oben

Zurück zu Teil 2 des Textes

Zurück zu Teil 1 des Textes

Andere Texte

 

[Homepage] [Sankt Hubertus] [Heiligenverehrung] [Orden] [Graf von Sporck] [Orden des Grafen Sporck] [Restitution] [Int. St.-Hubertus-Orden] [Schutzpatron Hubertus] [Texte] [Literatur] [In Memoriam] [Kontakt] [Haftungsausschluss] [Internes]